Finanzen

Influencer-Szene und Steuerhinterziehung: Glamour trifft Gesetzeslücke

Sie posieren vor Luxuskarren, fliegen First Class nach Dubai und werben mit Rabattcodes für Kosmetikprodukte – Influencer:innen haben sich zu zentralen Akteur:innen der digitalen Wirtschaft entwickelt.

Doch während auf Instagram, TikTok und YouTube alles nach Hochglanz aussieht, läuft im Hintergrund nicht immer alles sauber. Ein spektakulärer Fall aus Nordrhein-Westfalen (NRW) bringt nun eine ganz neue Dimension ans Licht: Laut Schätzungen der Ermittlungsbehörden wurden allein in NRW Einnahmen von Influencer:innen in Höhe von rund 300 Millionen Euro nicht versteuert.

Das Landesamt für Finanzen (LFF) hat eigens ein „Influencer-Team“ gegründet – ein Novum in der deutschen Steuerlandschaft. Die Ermittlungen zeigen, dass ein Großteil der Szene offenbar systematisch am Finanzamt vorbeiarbeitet. Die Frage lautet: Aus Unwissenheit oder Vorsatz?

Hintergrund: Der große Steuer-Schaden aus Likes und Reichweite

Die Zahlen, die aktuell durch NRW kursieren, sind alarmierend. Wie ein Sprecher des NRW-Finanzministeriums bestätigte, laufen aktuell mehr als 200 Ermittlungsverfahren gegen Influencer:innen. Grundlage dafür sind über 6.000 ausgewertete Datensätze, die über verschiedene Social-Media-Plattformen zusammengetragen wurden. Die Gesamtsumme der vermuteten hinterzogenen Steuern liegt bei etwa 300 Millionen Euro – Tendenz steigend.

Laut Ministerium sind in vielen Fällen Personen betroffen, „die jährlich sechsstellige Einnahmen aus Kooperationen, Produktplatzierungen und Affiliate-Marketing erzielen und diese nicht ordnungsgemäß versteuern“. Die Ermittler:innen werten öffentlich zugängliche Informationen aus: Anzahl der Follower, Werbepartner, Preis pro Story oder Post – all das ergibt ein recht präzises Bild der geschäftlichen Aktivitäten.

NRW-Finanzminister Marcus Optendrenk erklärte: „Wer auf Social Media erfolgreich ist, hat auch steuerliche Pflichten. Es geht hier nicht um Neid oder Kontrolle, sondern um Gerechtigkeit.“ Das eigens eingerichtete „Influencer-Team“ innerhalb des LFF besteht aus Steuerfahnder:innen, IT-Expert:innen und Social-Media-Analyst:innen.

Wie trickst die Szene? Methoden der Steuervermeidung

Viele bekannte Content Creator:innen leben offiziell im Ausland – etwa in Dubai oder Zypern –, um sich der deutschen Steuerpflicht zu entziehen. In einigen Fällen sind diese Wohnsitze allerdings Scheinadressen; die Ermittler:innen konnten nachweisen, dass sich die betroffenen Personen weiterhin überwiegend in Deutschland aufhalten.

Auch bei den Einnahmen aus Kooperationen wird häufig „vergessen“, diese beim Finanzamt anzugeben. Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern auch um Sachleistungen: Luxusreisen, Autos, Modeartikel – sobald ein wirtschaftlicher Vorteil entsteht, ist dies steuerlich relevant.

Ein Beispiel: Eine Influencerin mit über 200.000 Followern erhält ein Luxuskleid im Wert von 2.000 € für eine Instagram-Kampagne. Wird dieses Kleid nicht in der Steuererklärung angegeben, handelt es sich – rein rechtlich – um eine Steuerhinterziehung.

Rechtslage: Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt

Die gesetzliche Grundlage findet sich in § 370 der Abgabenordnung (AO): Wer vorsätzlich falsche oder unvollständige Angaben macht, um Steuern zu verkürzen, macht sich strafbar. Bereits ab einem Steuerschaden von über 50.000 € liegt ein „besonders schwerer Fall“ vor – hier droht Freiheitsstrafe.

Steueranwältin Claudia Buschmann aus Köln betont: „Die Behauptung, man habe nicht gewusst, dass auch Gutscheine oder Sachwerte steuerpflichtig sind, schützt nicht vor Strafe.“ Allerdings können Influencer:innen, die ihre Fehler rechtzeitig einsehen, durch eine Selbstanzeige unter bestimmten Voraussetzungen straffrei ausgehen.

Beispielhafte Fälle: Wenn das Finanzamt mitliest

Ein besonders aufsehenerregender Fall: Ein TikTok-Star mit mehr als 1 Million Abonnenten postete öffentlich, dass er pro Story 10.000 € kassiere. In seiner Steuererklärung tauchten allerdings nur Einnahmen aus einem „Minijob“ auf. Die Ermittlungen führten letztlich zu einer Hausdurchsuchung – samt Beschlagnahmung von Laptops, Smartphones und Bankunterlagen.

Ein weiteres Beispiel ist eine Influencerin mit Schwerpunkt Mode und Lifestyle. Ihre auf Instagram dokumentierten Luxusreisen standen im Widerspruch zu den erklärten Jahreseinnahmen von unter 15.000 €. Ermittler:innen fanden heraus, dass sie mindestens 120.000 € aus Kooperationen mit Modehäusern erhalten hatte – ohne diese zu melden.

„Wir werten auch Werbebuchungen über Plattformen wie Brandnew, Reachbird oder Influencity aus“, erklärt ein Mitglied der Sondereinheit. „Mit diesen Informationen lassen sich genaue Umsatzschätzungen anstellen.“

Auswirkungen: Image-Schaden und wirtschaftliche Risiken

Neben den strafrechtlichen Folgen drohen auch massive Imageverluste. Die Öffentlichkeit reagiert zunehmend kritisch auf Influencer:innen, die sich einerseits in Designerklamotten präsentieren, andererseits aber offenbar keine Steuern zahlen. Vor allem die Community junger Follower:innen zeigt sich enttäuscht, wenn Idole durch Steuertrickserei auffallen.

Auch wirtschaftlich kann das Verhalten der Szene Konsequenzen haben. „Wenn ganze Berufsgruppen wie Influencer:innen oder YouTuber:innen als unzuverlässig gelten, könnte das langfristig Werbepartner abschrecken“, so Medienökonom Prof. Jürgen Langer von der Hochschule Mainz.

Wie der Staat reagiert: Strategien und Prävention

Das Land NRW ist mit gutem Beispiel vorangegangen: Seit Anfang 2025 ist das Influencer-Team Teil des regulären Betriebs des LFF. Ziel ist nicht nur die Strafverfolgung, sondern auch Aufklärung und Prävention. So werden gezielt Workshops und Informationsmaterialien für Agenturen und Content Creator:innen entwickelt.

Ein weiteres Anliegen ist die technische Auswertung von Social-Media-Daten. Durch automatisierte Tools können Verdachtsmomente deutlich schneller erkannt werden. Außerdem fordert NRW mehr Zusammenarbeit mit Plattformbetreibern, damit Werbeeinnahmen transparenter erfasst werden.

„Die steuerliche Gleichbehandlung aller Erwerbstätigen ist ein zentraler Pfeiler unseres Sozialstaates“, sagte Minister Optendrenk. „Influencer:innen stehen dabei nicht außerhalb des Systems.“

Forderung nach Gesetzesanpassungen

In der Politik mehren sich Stimmen, die gesetzliche Nachschärfungen fordern. Etwa verpflichtende Meldesysteme für digitale Werbeeinnahmen – ähnlich wie bei Banken. Auch die Plattformbetreiber wie Meta, TikTok oder Google könnten zur Verantwortung gezogen werden.

Steuerberaterin Buschmann schlägt vor, „eine verpflichtende Registrierung für professionelle Influencer:innen bei den Finanzämtern einzuführen – gekoppelt an die Höhe der Follower-Zahlen und Einnahmen“. So könnten Graubereiche schneller erkannt werden.

Regulierung der Influencer-Wirtschaft

Die aktuellen Entwicklungen zeigen deutlich: Die Influencer-Szene hat nicht nur eine immense wirtschaftliche, sondern auch steuerliche Bedeutung. Während einige Akteur:innen professionell und korrekt arbeiten, nutzen andere Lücken im System – oder setzen sogar bewusst auf Betrug. Die Ermittlungen aus NRW sind dabei nur der Anfang einer breiteren Bewegung.

Staatliche Behörden rüsten technisch und personell auf, und auch die öffentliche Meinung fordert mehr Fairness. Die Frage ist nicht mehr, ob die Influencer-Wirtschaft reguliert wird – sondern wie schnell und wie konsequent.

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