Illegales Streaming: Wie die Zersplitterung des Videostreaming-Markts Kriminalität befeuert
Streaming galt lange als die saubere, legale Antwort auf illegales Filesharing. Plattformen wie Netflix, Amazon Prime Video oder Disney+ machten es einfach, Filme und Serien legal zu konsumieren. Doch inzwischen ist das Streaming-Ökosystem selbst zum Problem geworden.
Immer mehr Anbieter, exklusive Inhalte und steigende Abo-Kosten treiben Nutzer zurück in die Arme illegaler Portale. Die Folge: Ein neuer Boom der Internetpiraterie – und mit ihr wachsende Kriminalität.
Wachsende Zahlen: Illegales Streaming ist zurück
Nach einem jahrelangen Rückgang illegaler Streaming-Aktivitäten erleben Strafverfolgungsbehörden und Medienforscher einen besorgniserregenden Gegentrend. Laut dem britischen Analysedienst MUSO stieg die Zahl der weltweiten Piraterie-Besuche von rund 125 Milliarden im Jahr 2019 auf 141 Milliarden im Jahr 2023 – ein Anstieg um 13 Prozent.
Auch in Europa bestätigt das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) diese Entwicklung: Nachdem zwischen 2017 und 2021 ein Rückgang illegaler Nutzung registriert wurde, stieg sie im Jahr 2022 wieder um 3,3 Prozent an. Besonders betroffen sind Filme, Serien und Live-TV-Angebote.
Eine Studie von Goldmedia im Auftrag des deutschen Medienverbands VAUNET zeigt, dass im Jahr 2022 rund 5,9 Millionen Menschen in Deutschland illegal Live-TV streamten. Der dadurch verursachte wirtschaftliche Schaden wird auf etwa 1,8 Milliarden Euro geschätzt – hinzu kommen rund 390 Millionen Euro entgangener Steueraufkommen.
Ursachenforschung: Fragmentierung und Kostenexplosion
Die Ursachen für diese Entwicklung sind strukturell. Was ursprünglich als komfortabler, zentralisierter Zugang zu Inhalten begann, ist inzwischen ein zersplitterter Markt. Fast jede große Produktionsfirma betreibt inzwischen einen eigenen Streamingdienst – von Netflix, Disney+ und Paramount+ über Apple TV+ bis hin zu Sky, RTL+ und DAZN.
Was bedeutet das für Verbraucher? Wer beispielsweise alle Serien aus den Universen von „Star Wars“, „Marvel“, „The Boys“, „Stranger Things“ und „The Office“ sehen möchte, muss im Extremfall sieben verschiedene Abos abschließen – mit Gesamtkosten von über 70 Euro pro Monat.
„Ich hatte früher ein Netflix-Abo und war zufrieden. Jetzt brauche ich fünf Dienste und finde trotzdem nicht alles, was ich sehen will“, berichtet ein 27-jähriger Student aus Köln. Er ist längst auf illegale Plattformen ausgewichen.
Eine Studie der Aalto-Universität in Finnland kommt zu dem Ergebnis, dass für 81 Prozent der Befragten die Zersplitterung der Inhalte ein bedeutendes Problem darstellt. Noch drastischer: Die Fragmentierung sei laut Forschern ein signifikanter Prädiktor für zukünftige Piraterie-Nutzung.
Struktur des illegalen Markts
Der Markt für illegales Streaming ist ebenso vielfältig wie agil. Nachdem populäre Plattformen wie kino.to oder movie2k von Behörden abgeschaltet wurden, entstanden zahllose neue Portale. Diese „Hydra-Struktur“ erschwert die nachhaltige Bekämpfung: Wird eine Plattform geschlossen, wachsen zwei neue nach.
„Die Betreiber sind technisch versiert, agieren anonym und verlagern ihre Server regelmäßig ins Ausland“, sagt ein Sprecher des bayerischen Landeskriminalamts. Immer häufiger nutzen sie sogenannte Cyberlockers – Plattformen, auf denen Videodateien abgelegt und über Direktlinks verbreitet werden.
Die Betreiber erzielen Einnahmen durch aggressive Werbung, Malware oder kostenpflichtige Premium-Accounts. Laut Recherchen von Wired handelt es sich in manchen Fällen um Netzwerke mit professionellen Strukturen und Millionenumsätzen.
Kriminelle Dimensionen und rechtliche Folgen
Der Konsum illegaler Inhalte ist in Deutschland strafbar. Bereits das bloße Streaming aus offensichtlich rechtswidrigen Quellen gilt seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs 2017 als Urheberrechtsverletzung.
Nutzer riskieren Abmahnungen von Anwaltskanzleien in Höhe von 800 bis 1.500 Euro. Bei wiederholtem Verhalten oder der Nutzung kostenpflichtiger illegaler Dienste kann auch ein Strafverfahren folgen.
Für die Betreiber der Plattformen sind die Konsequenzen noch gravierender. In einem spektakulären Fall in den USA wurden die Betreiber von Jetflicks – einer der größten illegalen Serienplattformen weltweit – im Jahr 2023 verurteilt. Ihnen drohten Haftstrafen von bis zu 84 Monaten. Beteiligt war auch ein deutscher Staatsbürger.
In Deutschland wurde 2022 das Strafrecht verschärft: Das Betreiben sogenannter „krimineller Plattformen“ kann mit bis zu zehn Jahren Haft geahndet werden. Ziel ist es, nicht nur Konsumenten, sondern auch Hintermänner zur Rechenschaft zu ziehen.
Wie die Diversifizierung illegale Nutzung fördert
Die Verbindung zwischen legaler Diversifizierung und illegaler Nutzung ist offensichtlich: Je mehr Anbieter und exklusive Inhalte es gibt, desto schwieriger wird es für Nutzer, den Überblick zu behalten – und desto teurer wird das legale Gesamtpaket.
In einer ökonomischen Perspektive spricht man von „Abo-Fatigue“: Die Zahlungsbereitschaft der Nutzer sinkt, sobald der Nutzen eines zusätzlichen Abos geringer ist als der Preis. In diesem Spannungsfeld entsteht ein Nährboden für illegale Alternativen, die kostenlosen Zugang zu umfassenden Inhalten versprechen.
„Ich kann es mir schlicht nicht leisten, alles zu abonnieren“, sagt eine 42-jährige alleinerziehende Mutter. „Aber meine Kinder wollen Serien sehen, die es nur bei Disney gibt. Ich habe irgendwann aufgegeben und streame illegal.“
Solche Einzelschicksale sind keine Entschuldigung – aber sie zeigen, dass der Markt legale Zugangsbarrieren schafft, die Nutzer systematisch in die Illegalität drängen.
Gegenmaßnahmen und Lösungsansätze
Zur Bekämpfung der Internetpiraterie setzt die Politik inzwischen auf ein Bündel von Maßnahmen. Dazu zählen verschärfte Strafgesetze, internationale Kooperationen bei Serverabschaltungen und öffentlichkeitswirksame Kampagnen.
Gleichzeitig wird auf technische Lösungen gesetzt, etwa Watermarking-Technologie oder künstliche Intelligenz zur Identifizierung illegaler Inhalte.
Doch die langfristige Lösung liegt nicht allein in der Repression, sondern auch in marktseitigen Reformen. Experten fordern:
- Mehr Inhalte übergreifend auf zentralen Plattformen anzubieten
- Werbefinanzierte Gratis-Modelle (AVOD) stärker zu fördern
- Transparente Preisgestaltung und einfachere Kündigungsoptionen
Ein mögliches Vorbild ist das Konzept des „Streaming-Bundles“: Ein Kombi-Abo, das mehrere Dienste vereint – ähnlich wie beim klassischen Kabel-TV. Erste Modelle werden in den USA bereits erprobt.
Die Renaissance des illegalen Streamings
Die Renaissance des illegalen Streamings ist kein Zufall. Sie ist das Ergebnis eines Marktes, der sich von den Bedürfnissen vieler Nutzer entfernt hat. Die Zersplitterung in immer mehr Dienste, gekoppelt mit steigenden Preisen, fördert nicht nur Frust – sondern auch Kriminalität.
Statt nur auf Strafverfolgung zu setzen, muss die Branche umdenken: Weniger Fragmentierung, mehr Nutzerfreundlichkeit und faire Preisgestaltung könnten helfen, illegale Alternativen wieder unattraktiv zu machen.
Denn am Ende gilt: Wer legale Wege blockiert, öffnet die Tür zur Illegalität – und mit ihr zu einem wachsenden Schattenmarkt, der für Nutzer und Gesellschaft gleichermaßen gefährlich ist.