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Russlands Great Firewall – Die Abschottung des russischen Internets

Russland rückt technisch und politisch immer näher an das Modell einer autoritären Internetkontrolle, wie es in China bereits etabliert ist. Während das Internet lange Zeit als globales und freies Kommunikationsmittel galt, versucht die russische Führung, sich zunehmend von internationalen Netzstrukturen abzukoppeln. Jüngste Vorfälle wie koordinierte Internetausfälle in Grenzregionen und Überlegungen zum Verbot von WhatsApp verdeutlichen diese Entwicklung. Experten sprechen bereits von einer „russischen Great Firewall“. Doch wie funktioniert diese digitale Abschottung konkret, und welche Konsequenzen ergeben sich daraus?

Das „souveräne Internet“ als Fundament

Die Grundlage für Russlands digitale Autarkie wurde mit dem Gesetz zum „souveränen Internet“ im Jahr 2019 gelegt. Es verpflichtet russische Telekommunikationsanbieter, spezielle Technik zu installieren, mit der der Datenverkehr kontrolliert und notfalls umgeleitet werden kann. Ziel sei laut Regierung, das russische Internet im Fall externer Angriffe funktionsfähig zu halten. Kritiker wie die russische Internetrechtlerin Sarkis Darbinyan vom Digital-Rights-Kollektiv Roskomsvoboda sehen darin allerdings ein reines Zensurinstrument: „Dieses Gesetz wurde nie für Schutzmaßnahmen gegen Cyberangriffe gebraucht – sondern ausschließlich zur Kontrolle von Informationen.“

Roskomnadsor: Zentrale Kontrollinstanz

Im Zentrum der Abschottung steht die Behörde Roskomnadsor (Föderaler Dienst für die Aufsicht im Bereich der Kommunikation). Sie betreibt seit Jahren eine systematische Sperrung unerwünschter Inhalte. Dazu zählen westliche Nachrichtenseiten, soziale Netzwerke, Pornoseiten, VPN-Dienste und zunehmend auch Messaging-Plattformen. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs 2022 hat Roskomnadsor mehrere hundert Webseiten gesperrt, darunter BBC, DW, Facebook, Instagram und X (ehemals Twitter).

Technisch wird dies über Deep Packet Inspection (DPI) ermöglicht. Dabei analysieren Filtergeräte den Datenverkehr bis auf die Inhaltsebene. In China ist diese Technik Standard – Russland importiert teils sogar ähnliche Systeme.

Internetausfälle und erste Abschaltproben

Im Mai 2025 kam es in mehreren russischen Regionen, darunter Belgorod, Kursk und Woronesch, zu flächendeckenden Internetausfällen. Offiziell hieß es, man wolle die Kommunikation ukrainischer Drohnen stören. Doch Beobachter glauben an einen großflächigen Testlauf für ein internes Kontrollsystem. Der renommierte russische IT-Analyst Alexander Isawnin kommentierte: „Das war ein gezielter Versuch, regionale Kommunikationssysteme abzuschotten – ein Test, wie sich selektive Netztrennung in der Praxis umsetzen lässt.“

Gleichzeitig wurde öffentlich über ein mögliches Verbot von WhatsApp diskutiert. Laut einem Bericht des RedaktionsNetzwerks Deutschland steht der Messenger wegen seiner Verschlüsselung und westlicher Herkunft auf der Abschussliste. Dies erinnert an Chinas rigoroses Vorgehen gegen westliche Kommunikationsplattformen.

Chinas Great Firewall als Vorbild

In China wurde das Internet von Anfang an als kontrollierbarer Raum gedacht. Mit einer Kombination aus DNS-Sperren, IP-Blockierung, Keyword-Filtern und staatlichen Alternativen (WeChat statt WhatsApp, Baidu statt Google) wurde die „Great Firewall“ zum Synonym für digitale Repression.

Russland eifert diesem Modell nach – hat aber strukturelle Nachteile: Während China über wenige zentrale Internetknoten verfügt, ist Russlands Infrastruktur deutlich dezentraler. Auch ist die Nutzung westlicher Dienste in Russland nach wie vor verbreitet. So nutzen laut Umfragen von Mediascope 2024 noch immer mehr als 45 Prozent der jungen Russen VPN-Dienste.

Rechtliche Rahmenbedingungen

Neben dem „Gesetz über das souveräne Internet“ wurden weitere Maßnahmen zur Informationskontrolle eingeführt. Seit 2021 ist die Nutzung von VPNs, die gesperrte Seiten umgehen, offiziell verboten. Plattformen wie Google oder Apple müssen russische Apps auf Anordnung entfernen – und kamen dem teilweise nach.

Ein weiteres Gesetz von 2022 verpflichtet Anbieter, Nutzerdaten ausschließlich auf russischen Servern zu speichern. Damit soll sichergestellt werden, dass bei Bedarf auf sämtliche Daten zugegriffen werden kann. Datenschützer warnen vor einem „gläsernen Nutzer“ im digitalen Raum.

Wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen

Die digitale Abschottung hat massive Auswirkungen – insbesondere auf die Wirtschaft. Bei den Internetausfällen im Mai 2025 kam es in mehreren Städten zu Ausfällen von Bezahlsystemen, Banking-Apps und Online-Services. Kunden standen an Kassen, ohne bezahlen zu können. Das E-Commerce-Geschäft stagnierte.

Für Unternehmen mit internationalen Verbindungen ist die zunehmende Isolierung eine Katastrophe. Der Unternehmer Alexej, der in Moskau ein IT-Startup leitet, sagte anonym: „Wir können unsere Kunden im Ausland kaum noch erreichen. Manche Dienste blockieren russische IPs – andere sind nur über Umwege nutzbar. Das kostet Zeit, Geld und Vertrauen.“

Informationsfreiheit und Zensur

Neben ökonomischen Konsequenzen steht vor allem die Meinungsfreiheit unter Druck. Russische Medien unterliegen schon lange staatlicher Kontrolle. Doch durch die Internetabschottung werden nun auch ausländische Informationsquellen systematisch blockiert.

Ein Beispiel: Die Seite der Deutschen Welle wurde bereits 2022 gesperrt. Im März 2024 wurde auch der Zugang zur Online-Enzyklopädie Wikipedia zeitweise gestört – nachdem sie Artikel über Kriegsverbrechen in der Ukraine nicht löschte.

Viele Nutzer setzen auf VPNs. Doch auch diese werden zunehmend blockiert. Der Programmierer und Aktivist Pawel kritisiert: „Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel. Wir versuchen, neue Wege zu finden – aber der Staat investiert Millionen, um uns zu stoppen.“

Gegenwehr und Umgehungsstrategien

Zivilgesellschaftliche Initiativen wie Roskomsvoboda oder Access Now dokumentieren Sperren und entwickeln Tools zur Umgehung. Populär sind Browser mit integrierten Proxys wie Tor oder spezielle DNS-Dienste. Auch das Tool „Psiphon“ zählt zu den meistgenutzten Anwendungen in autoritären Staaten.

Doch auch hier rüstet der Staat auf. Im Sommer 2025 startete Roskomnadsor eine KI-basierte Filterlösung, die auch verschlüsselten Datenverkehr analysieren soll. Kritiker sprechen von einer „digitalen Dystopie“ – ein Wettrennen zwischen Freiheit und Kontrolle.

Fazit und Ausblick

Russlands Weg in die digitale Isolation ist kein plötzlicher Schritt, sondern das Ergebnis langfristiger politischer Entscheidungen. Mit Hilfe von Gesetzen, technischen Maßnahmen und gezielter Desinformation entsteht ein zunehmend abgeschottetes Internet, das sich vom freien globalen Netz entfernt.

Die Parallelen zur chinesischen Great Firewall sind offensichtlich. Doch Russlands Infrastruktur, wirtschaftliche Abhängigkeit und gesellschaftlicher Widerstand erschweren eine vollständige Abschottung. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob der Kreml diesen Weg konsequent weitergeht – oder ob wirtschaftliche und politische Realitäten Grenzen setzen.

Für die Bevölkerung bedeutet dies eine fortschreitende Einschränkung von Rechten und Zugang zu Informationen. Was heute als Test gilt, könnte morgen Alltag sein. Der russische IT-Experte Isawnin bringt es auf den Punkt: „Was China in 20 Jahren aufgebaut hat, will Russland in 5 Jahren nachholen. Doch Freiheit ist nicht so einfach zu blockieren, wie ein Server.“

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